Wie wirksam sind Reisebeschränkungen gegen SARS-CoV-2?
Zahlreiche Staaten haben Grenzkontrollen und andere Reisebeschränkungen gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2 angeordnet. Doch was bringen diese Maßnahmen? Münchner Forschende an der Pettenkofer School of Public Health haben dazu im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation eine Übersichtsarbeit erstellt.
16.09.2020
Seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie hat sich das Reisen drastisch verändert. Weltweit wurden teils massive Reisebeschränkungen bis hin zu kompletten Einreiseverboten angeordnet. Aber auch Quarantänemaßnahmen für Reisende, Corona-Tests an der Grenze oder das Symptom-Screening am Flughafen gehören dazu. „Bei so einschneidenden Maßnahmen müssen wir eigentlich wissen, ob und wie sie wirken", sagt Eva Rehfuess, Professorin für Public Health und Versorgungsforschung an der Pettenkofer School of Public Health der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsgruppe hat im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation und in Zusammenarbeit mit Cochrane eine Übersichtsarbeit verfasst, um dieser Frage nachzugehen. Cochrane ist ein unabhängiges internationales Forschungsnetzwerk mit dem Ziel, die wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheitssystem zu verbessern.
Hohe Diversität bei gefundenen Studien
Das Team fand insgesamt 36 relevante wissenschaftliche Studien zu Reisebeschränkungen bei Coronavirus-Ausbrüchen. Davon bezogen sich 25 direkt auf das aktuelle Coronavirus SARS-CoV-2, bei den übrigen elf Studien standen Ausbrüche mit SARS (severe acute respiratory syndrome) und MERS (Middle-Eastern respiratory syndrome) im Mittelpunkt, beides ebenfalls Coronaviren.
Bei der Auswertung der Studien zeigte sich, dass derzeit noch keine gesicherten Aussagen möglich sind. „Die Studien sind sehr unterschiedlich“, sagt Jacob Burns. Der Epidemiologe ist gemeinsam mit Ani Movsisyan Hauptautor der Studie. „Sie untersuchen verschiedene Maßnahmen in verschiedenen Ländern, dazu verwenden sie auch noch unterschiedliche wissenschaftliche Methoden. Das macht es schwer, allgemeine Schlüsse zu ziehen.“
Die Forschenden fanden allerdings durchaus Hinweise, dass Reisebeschränkungen dabei helfen können, die COVID-19-Pandemie einzudämmen. Das gilt vor allem für den grenzübergreifenden Reiseverkehr, etwa durch einen Einreisestopp aus Risikogebieten, wobei dies vermutlich eher in frühen Stadien der Pandemie wirksam ist. Andere Vorgehensweisen scheinen weniger effektiv zu sein. So bringt das alleinige Screening von Reisenden auf Symptome und das Testen von Menschen mit Symptomen nach derzeitiger Studienlage wenig. "Allerdings erhöht sich die Wirksamkeit dieser Maßnahmen, wenn sie mit anderen kombiniert werden, etwa mit einer ausgeweiteten Teststrategie oder einer Quarantäne unabhängig vom Testergebnis", ergänzt Movsisyan.
Viele ungeklärte Fragen
Insgesamt bleiben derzeit noch viele Fragen offen, schreiben die Forschenden in ihrer Arbeit. Das liegt unter anderem daran, dass ein großer Teil der betrachteten Studien auf Modellierungen und den darin enthaltene Annahmen beruht, nicht auf Beobachtungen. Umso wichtiger ist es, im weiteren Verlauf der Pandemie reale Daten zu sammeln. Daneben haben Reisebeschränkungen nicht nur gesundheitliche, sondern auch politische, wirtschaftliche und soziale Folgen, die in den eingeschlossenen Studien aber nur unvollständig berücksichtigt wurden. Auch konnten kaum Erkenntnisse darüber gefunden werden, wann und wie die Reisebeschränkungen wieder gelockert werden können. Offen bleibt ebenfalls, wie die Reisebeschränkungen mit anderen Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstand halten zusammenwirken. „Um diese Fragen zu beantworten, sollten die aktuellen Maßnahmen dringend mit solider Forschung begleitet werden", betont Rehfuess. "Die WHO setzt auf Evidenzbasierung: Wir freuen uns, dass wir sie hier gezielt unterstützen konnten.
Publikation:
Burns J, Movsisyan A, Stratil JM, Coenen M, Emmert-Fees KMF, Geffert K, et al. Travel‐related control measures to contain the COVID‐19 pandemic: a rapid review. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2020(9). doi: 10.1002/14651858.CD013717
Kontakt:
Jacob Burns
Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie
Pettenkofer School of Public Health, LMU München
Telefon: +49 (0) 89/2180-78178
Email: burns@ibe.med.uni-muenchen.de